Manuel Gerber ist Komponist, Sounddesigner und Mischtonmeister für Theater, Film und interaktive Medien. Er verfügt über einen Abschluss an der Hochschule für Musik in Basel und arbeitet seit 2005 als Sounddesigner und Mischtonmeister an internationalen und Schweizer Projekten. Diese umfassen beispielsweise “The Walking Dead”, “Unknown”, oder auch Schweizer Produktionen wie “Stille Reserven” und “Blue My Mind”. Seit 2010 ist er tätig als Dozent für Tongestaltung und Filmton an der ZHdK in Zürich und ist ebenfalls dort Co-Leiter des Masterstudiengangs “Sound Design”, in dem es u.a. ein Seminar zum Thema „Horror & Sound“ gibt. Im folgenden Interview erzählt Manuel Gerber alles darüber, wie er ein Horror-Sounddesign Projekt angeht, was dabei wichtig ist und auf welche Taktiken Horrorfilme beim Sounddesing setzen.
Transkript Interview
Corina Meier: Kannst du als Einstieg ganz kurz beschreiben, was du für einen Bezug zum Horror-Genre hast und welche Arbeit du im Sounddesign alles machst?
Manuel Gerber: Ich mag das Genre sehr gerne. Ich mag Horrorfilme und finde das ein sehr interessantes Genre, das mich fasziniert. Ich habe auch eine gewisse Affinität zu den Filmen, natürlich, wenn sie gut gemacht sind. Als Sounddesigner ist das sehr interessant, weil man sehr viel machen kann. Im Horrorfilm geht es in erster Linie ja auch darum, dass man Dinge gerade nicht zeigt und sich als ZuschauerIn Sachen vorstellt und für das ist der Sound natürlich ideal geeignet. Für mich sind die interessanten Horrorfilme diejenigen, die relativ viel Schwarz haben, also sehr wenig gezeigt wird und vieles im Unklaren bleibt. Das öffnet natürlich die Türen für den Sound. Das finde ich spannend. Das ist auch etwas, das ich an der ZHdK unterrichte. Es gibt da ein Seminar Sound & Horror, was ich sehr gerne mache. Wann immer ich die Möglichkeit habe, an so einem Projekt zu arbeiten, dann nehme ich das auch sehr gerne an. Wie gesagt, man kann sehr kreativ sein, viele Dinge durch den ton erzählen, die weit über das Bild hinausgehen.
CM: Wenn du an so einem Projekt dran bist, was gehört dann genau zu deinen Aufgaben?
MG: Es ist unterschiedlich. In der Regel werde ich für das Sounddesign angefragt und das beinhaltet quasi die Kreation von allen Geräuschen, auch Foley Geräusche. Teilweise beinhaltet das auch Arbeit mit Dialog und Dialogschnitt. Oder es kommt auch vor, dass ich für die Mischung angefragt werde und dass ich die einzelnen Elemente, die man mir zur Verfügung stellt, dann in der Entmischung fertigstelle, zusammen mit der Regie. In der Regel habe ich die Sound Supervision. Ich bin also die Ansprechperson für die Regie bei diesen Filmen und bin dann verantwortlich für das Tonkonzept. Da gehört natürlich auch die Kooperation mit Komponisten und Komponistinnen dazu. Gerade beim Horrorfilm ist das sehr wichtig und interessant und da ist die spannende Frage, wo hört das Sounddesign auf und wo fängt die Musik an, oder gibt es da überhaupt Abgrenzungen.
CM: Wenn du an so einem Auftrag arbeitest, mit welchem Programm arbeitest du dann?
MG: Der Industriestandard ist Pro Tools. Mit dem arbeiten eigentlich alle. Ist jetzt nicht zwangsläufig, weil es die beste Software ist, sondern weil es einfach wie gesagt der Standard ist und man mit allen Studios kompatibel ist. Film ist ja ein sehr kollaborativer Effort, wo viele Leute zusammenarbeiten und da ist es häufig so, dass vielleicht 10 Leute im Ton-Team sind und damit diese einen gemeinsamen Nenner haben, arbeiten alle mit Pro Tools. Für die Soundkreation selbst gibt es auch noch ganz viele andere Sachen, die man verwendet, aber am Ende landet alles in irgendeiner Form in Pro Tools.
CM: Und wenn du Sounds kreieren musst, arbeitest du allgemein mit vielen Sounds, die du selbst erstellst oder verwendest du Samples?
MG: Das ist unterschiedlich. In der Regel ist der Film noch nicht gedreht, wenn ich angefragt werde und man hat einfach mal ein Drehbuch. Dann bekomme ich das Drehbuch, lese das und bespreche dann mit RegisseurIn, um was es geht und das ist der Moment, wo ich beginne, Sounds zu sammeln. Das sind dann eigene Sounds und ich gehe dann nach draussen und nehme Dinge auf. So stelle ich dann eine Bibliothek zusammen. Das ist sicher ein grosser Teil. Ein anderer Teil besteht tatsächlich aus Soundlibraries, bei denen man sich über die Jahre Sachen ansammelt und alle möglichen Sounds hat. Ich gehe jetzt nicht für jedes einzelne Geräusch, das ich brauche, selbst etwas aufnehmen, sondern da gibt es vielleicht Sounds, die ich schon einmal aufgenommen habe oder aus kommerziellen Libraries erhältlich sind. Es gibt ganz viele Boutique-Libraries, wo sehr viele spezifische Töne in guter Qualität produziert werden, die man dann kaufen kann. Gerade beim Thema Horror, da geht es ja immer darum, dass man die ganzen Gore-Sounds bekommt, da gibt es spezialisierte Libraries dafür, die schon jemand gemacht hat, die ich jetzt nicht unbedingt würde machen wollen. Also in irgendwelchen Schlachthöfen die ganzen Tierkadaver aufnehmen oder sonstiges, das hat dann schon jemand gemacht. Es ist also so eine Mischung aus dem. Die Sachen, die ich aufnehme, manipuliere ich auch immer noch irgendwie. Also das Banalste wäre, dass ich die Aufnahme säubere und dass die Störgeräusche, die ich nicht haben will, entfernt werden. Aber es kann auch sein, dass die irgendwie transformiert werden mit irgendwelchen Tools. Sie im Sampler spielen oder runter pitchen, rückwärts, was es auch immer für Möglichkeiten gibt, diese weiter zu bearbeiten.
CM: Du hast das vorhin schon erwähnt. Wenn man auf dich zukommt, ist der Film noch nicht gedreht und du besprichst dich mit der Regie. Welche Überlegungen machst du dir zu Beginn zum Sounddesign?
MG: Ich mache das immer so: Ich lese mal das Drehbuch und ich versuche, für mich herauszufinden, um was es in diesem Film geht, was mich interessiert und was zu mir spricht. Ich klopfe Szenen ab nach der Eignung für Sounddesign. Ich schaue auch, was im Buch drin steht. Da gibt es manchmal auch gewisse Anweisungen, wo es dann heisst: “man hört das und das”. Das sind so die banalen Sachen. Dann überlege ich mir, ob es tatsächlich Szenen gibt, wo man etwas vielleicht sogar besser über den Sound oder das Sounddesign erzählen kann, als mit Dialog oder der Erklärung, wie es im Buch steht. Ich mache mir also ein paar Gedanken und dann habe ich ein Buch mit vielen Notizen und dann treffe ich mich mit der Regie. Dann frage ich mal bei der Regie nach, was sie denn interessiert, oder was ihr wichtig ist. In erster Linie frage ich sie, um was es im Film geht. Mit “um was es geht” meine ich nicht den Plot, sondern was sie damit erzählen wollen, was das Thema ist. Dann mache ich mir Stichworte, die für mich wichtig sind. Da heisst es dann zum Beispiel, ein zentrales Thema des Films ist Macht, oder Machtgefälle oder Hierarchie, Hierarchie zwischen Klassen. Oder ein wichtiges Thema im Film, ein wichtiges Motiv ist Kontrast, zwischen Reich und Arm, zwischen schäbig und edel. Dann habe ich schon Stichworte für den Sound. Dann habe ich schon etwas, das mir etwas bringt. Dann suche ich vielleicht so auch weiter. Oder jemand sagt mir “Ich mache einen Horrorfilm, aber eigentlich geht es mir darum, den Horror von fanatischen Spiritualitäten” oder irgend sowas. Dann sage ich okay, das ist im Film zwar nicht in den Bildern drin, aber das ist dein Thema und dann suche ich solche Sounds. Ich suche mir einen anderen Zugang zum Film über das.
Jetzt arbeite ich gerade an einem Film, wo es um etwas geht, das aus dem Film selber zwar ersichtlich, aber nicht sehr klar ist. Es gibt einen Baum in diesem Film, eine Eibe, der eine sehr zentrale Rolle hat, der symbolisch für alles Schlechte, das passiert, steht und das Unheil über die Menschen in diesem Film bringt. Es geht auch um ein Pferd, das am Schluss von diesen Eibenbeeren frisst und stirbt. Jetzt geht es darum, man muss den Baum irgendwie aufladen im Sounddesign. Es ist ja einfach ein Baum, der dasteht und Nadeln und rote Beeren hat. Zuerst gehe ich in den Wald Sachen aufnehmen, dann überlege ich mir, was bedeutet denn das und wie sieht so eine Eibe aus? Ist sie knorrig, verdreht, wie verworrene Seile. Dann suche ich vielleicht nach Seil Klängen, die “creaky” sind. So probiere ich, mich über das anzunähern. Dann fange ich an mit all diesen Konzepten und Ideen. Viele Dinge, die ich einmal ausprobiere, landen dann auch mal im Schnitt. Das geht dann zur Cutterin und sie baut das dann ein und dann sieht man auch, was funktioniert und was nicht funktioniert. Es gibt immer die Situation, dass man sich ganz viele tolle Überlegungen macht, aber am Schluss merkt man, das klingt nicht geil, oder kein Mensch versteht das, oder es führt mich nicht dorthin, wo es sein sollte. Dann hat man vielleicht diese Arbeit geleistet, aber findet über einen anderen Weg den Zugang zum Film. Das ist so ein bisschen der Prozess.
CM: Diese Überlegungen, die du dir da also machst, beschreiben auch die Funktion vom Sounddesign, oder?
MG: Genau. Das Sounddesign muss nicht nur die Handlung unterstützen, sondern es kann vielleicht auch einfach nur etwas sein, das mit der Protagonistin zu tun hat. Auf deiner Liste ist zum Beispiel “Silence of the Lambs”. Auf dem Papier ist das eigentlich ein klassischer Horrorfilm mit einer Heldin, einem weiblichen Lead, die im Film einen “Need” hat, also sie muss Buffalo Bill stellen und im Prinzip die Prinzessin retten, wenn man so will. Aber sie hat auch ein “Want” sie will, und das ist interessant, sie wie diese Lämmer zum Schweigen bringen und die Lämmer stehen für ihr Trauma. Ihr Trauma ist also an einen Sound geknüpft und das ist sehr interessant. Das schreiende Lamm war das, was sie in der Nacht geweckt hat und sie versucht es dann zu retten. Das öffnet dann natürlich wieder die Tür für den Sounddesigner, in dem Fall mit dem zu arbeiten. Dass man quasi über Klänge irgendwie etwas darüber erzählt, was in dieser Figur vorgeht. Da ist es wiederum kein typischer Horrorfilm, wo das Sounddesign klar die Aufgabe hat, eine Extension von der Protagonistin zu sein. Oder etwas über ihre Innenwelt zu erzählen. Die Musik übrigens auch. Die Musik in diesem Film, das ist ihre Musik und ist an sie geknüpft und unterstreicht ihre Emotionen, oder bringt ihre Emotionen ans Tageslicht. Normalerweise ist es in diesem Genre eher so, dass die Musik auf den Zuschauer, die Zuschauerin zielt und sehr unmittelbare physische Reaktionen auslösen will. Stichwort Jumpscare. Irgendetwas Gruseliges passiert und man hat einen sehr lauten Musik Cluster oder unheimliche Stimmung in der Musik, damit wir uns ein bisschen mulmig fühlen. Und bei “Silence of the Lambs” ist die Musik eigentlich ihre Musik und erzählt uns, wie sie sich in diesem Moment fühlt. Die Musik ist nicht unbedingt eine Horrormusik, gar nicht. Sie hat eher eine schwere, romantische Qualität irgendwo. Dann wird es interessant, finde ich. Wenn man mit Sound und Musik irgendetwas dazugeben kann, das im Bild noch nicht unbedingt vorhanden ist. Ich finde, im Genre Film werden Sachen häufig verdoppelt. Ein Beispiel von “Silence of the Lambs”: Es beginnt mit Clarice Starling, sie geht in den Keller, wo sie dann auf ihren Chef trifft und sie sieht die Opferfotos von den Frauen, die Buffalo Bill ermordet hat. Und diese sind teilweise gehäutet. Das sind sehr unangenehme Bilder. Was in dem Moment passiert, man hat quasi eine P.O.V. von ihr auf die Fotos dieser Frauen und dann fährt die Kamera auf sie, wie sie auf das reagiert. Die Musik die einsetzt, erzählt uns eigentlich, dass sie in dem Moment nicht schockiert ist, von dem, was sie sieht, sondern dass sie Empathie hat. Sie hat Mitgefühl mit ihren Opfern, das ist ihre Motivation, sich überhaupt an diesem Fall zu beteiligen. Sie ist eigentlich taff, sie hat schon vieles gesehen, sie schockiert das nicht. Aber sie ist davon mitgenommen, sie hat Empathie. Bei einem Sequel, “Red Dragon”, machen sie das umgekehrt. Dort hat man den Schnitt auf die schrecklichen Bilder und irgendeinen Musik-Stinger und dissonante Streicher. Das wirkt dann irgendwie wie ein Klischee und etwas billig. Das interessiert mich jetzt etwas weniger. Das funktioniert und ist ein einfacher Trick, aber es sagt eigentlich nichts darüber aus, wie sich die Figur in diesem Moment fühlt.
CM: Wenn wir gerade schon von Emotionen sprechen, welche Emotionen kann man denn mit Sounddesign auslösen, vor allem auch beim Horrorfilm?
MG: Gute Frage. Ich denke, was sehr gut funktioniert, ist eine gewisse Art von Suspense. Oder einem das Gefühl zu geben, dass gleich etwas passiert. Das funktioniert aber natürlich auch nur, wenn der Film entsprechend konstruiert ist. Natürlich kann man irgendwie unheimlich inszenierte, gefilmte Szenen total entschärfen mit Sound, wenn man etwas Liebliches drunterlegt, klar. Das funktioniert sehr gut. Aber ich glaube, was Sound und Musik kann, ist etwas noch anzuschärfen oder zu verstärken, das irgendwie schon angelegt ist. Gerade das Gefühl von “da ist vielleicht noch jemand in diesem dunklen Raum”, das kann Sound natürlich extrem gut vermitteln. Auch hier gibt es wieder ein schönes Beispiel von einem Film, der “Orphan” heisst. Da gibt es eine Szene, wo die Protagonistin im Badezimmer vor dem Spiegel steht und man hat jetzt irgendwie das Gefühl, wenn sie jetzt den Spiegelschrank öffnet, sieht man jemanden, der hinter ihr steht. Das funktioniert durch Kamera und durch Sound. Die Kamera macht da ein P.O.V von hinten, die sich nähert und der Sound baut eine tiefe Drohne auf und das fühlt sich dann fast ein bisschen so an, als wäre etwas da, etwas ist in der Nähe. In dem Moment, wo man merkt, sie ist alleine, und dieses Gefühl ist vielleicht nur so ein Panikgefühl, das sie hat, geht in den Drohnen wieder weg und das ist dann wie eine Entspannung. Also, Sound kann Spannung aufbauen, kann eine Szene anschärfen oder noch bedrohlicher machen und kann aber auch das Umgekehrte. Also die Entspannung liefern.
CM: Es gibt ja auch gewisse Urgefühle, die der Mensch entwickelt hat, auf die man anspielen kann. Was gibt es da für Beispiele?
MG: In der Regel ist es so, dass Töne, die im Alarm-Register, oder im Babyschrei-Frequenzbereich sind, dass man auf diese sehr stark anspringt, weil man durch die Evolution wahrscheinlich auch so konditioniert worden ist. Beziehungsweise, wenn ich als Neandertaler nicht so gut gehört habe, dann habe ich auch nicht gehört, dass der Säbelzahntiger kommt und wurde ich verzehrt. Unser Ohr ist sehr empfindlich in diesem Frequenzbereich. Eine der grössten Ängste, die wir haben, ist die Angst vor dem Unbekannten. Das ist etwas, worüber der Sound eine wahnsinnige Macht hat. Man kann Klänge nehmen, die wir alle kennen und die dann irgendwie so transformieren, dass sie eine Qualität erhalten, bei der wir nicht mehr sicher sind, was es genau sein soll. Dann erhält man Irritation. Dann wird es irgendwie “weird” und “creepy”. Das ist etwas, das wir oft im Horrorfilm machen. Dass wir irgendwelche natürlichen Sounds nehmen, die wir alle kennen und sehr damit vertraut sind, und wir geben dem irgendeinen Dreh, dass es nachher grotesk wird, oder verändert, oder komisch und unbekannt wird. So, dass es fremdartig wird. Wir haben als Menschen grosse Angst vor dem Fremden. Beziehungsweise, es gibt zwei Typen von Leuten. Es gibt die, die neugierig sind und die das interessiert. Das sind dann die, die ins Geisterhaus reingehen. Dann gibt es noch die anderen, die Angst davor haben und nichts neues oder unbekanntes an sich ranlassen wollen. Das ist sicher ein Punkt. Dann gibt es eben noch den Punkt mit Alarm-Klängen, oder unangenehmen Frequenzen, quietschendes Metall, quietschendes Holz, diese Sachen, die für etwas stehen, das nicht reibungslos abläuft. Wenn ein Boden knarrt oder eine Tür quietscht, dann heisst das ja auch irgendwie, das ist nicht gut geölt, das ist nicht modern und nicht in Stand gehalten. Wenn etwas gut funktioniert und man kein Problem hat, dann macht das auch keinen Sound. Dann gibt es noch den Punkt, dass man mit der menschlichen Stimme arbeitet. Auch das ist ein Trick, den man viel verwendet. Man möchte zum Beispiel jemandem das Gefühl geben, da ist noch jemand im Raum. Man wacht in der Nacht um 03:00 Uhr in der Wohnung auf und plötzlich hat man das Gefühl, da ist jemand in der Ecke. Da kreiert man zum Beispiel eine Ambi, eine Hintergrund-Atmo, mit Atemgeräuschen. Man nimmt Atmer von Menschen auf, die pitcht man vielleicht runter und dann hat das so eine Qualität, dass da noch etwas im Raum sein könnte, auf das man nicht genau den Finger drauflegen kann, aber ich spüre das irgendwie. Ich denke, das ist so ein bisschen der Haupttrick. Dass man irgendetwas rein mischt, das “weird” ist, das da nicht hingehört, das vielleicht sogar aus einer menschlichen Stimme generiert wurde. Das ist sehr ungemütlich.
CM: Also wenn man etwas Gewohntes, Vertrautes verfremdet, dann erkennt man das nicht mehr und gibt automatisch ein unangenehmes Gefühl.
MG: Es bekommt einen Twist. Das ist wie, wenn du dir plötzlich spitzige Zähne einsetzen würdest. Dein Gesicht und alles kenne ich, so sieht ein Mensch aus, das ist vertraut. Aber wenn du deinen Mund aufmacht und es kommen plötzlich spitzige Zähne raus, dann stimmt etwas nicht mehr. Ich glaube, der Trick ist, dass man im Horrorfilm erst zeigen muss, was eigentlich normal ist, damit man es dann pervertieren und sabotieren kann. Man muss erst ausstellen, wie es eigentlich wäre und dann gibt man etwas dazu, dass es dann “weird” macht. Das ist das, was mich auch am Sound fasziniert, dass man wie durch die Hintertüre etwas erzählen oder Emotionen lenken kann.
Was auch wirksam ist, ist, dass man zum Beispiel Dinge wegnimmt, die man erwarten würde. Dass man Töne entfernt, die eigentlich da sein sollten. Zum Beispiel bei “Midsommar”. Durch den ganzen Film habe ich das Gefühl, jetzt passiert gleich etwas Schlimmes, es ist sehr beklemmend und unangenehm. Im Sounddesign hat man wie ein absolutes Vakuum in den Aussen Szenen. Der Film spielt im Frühling oder gar Sommer und es ist absolut idyllisch, Gras und Wiese, und man würde Vögel und Insekten verlangen. Und im Sound ist einfach ein Vakuum. Das ist so beklemmend. Oder man hat eine Traumsequenz und plötzlich hört man die Schritte des Protagonisten nicht mehr. Oder einfach etwas, das man wirklich erwarten würde , das man hört, fehlt einfach. In diesem Moment merkt man dann, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Das ist häufig fast stärker als einen “creepy” Sound dazu mischen, dass man etwas wegnimmt, das da eigentlich hingehört.
CM: Also die spezifische Platzierung von Stille, bei der man auf Sound verzichtet.
MG: Ja, absolut. In einem Film von Sergio Leone gibt es beispielsweise einen Moment, in dem man die ganzen Grillen hört und plötzlich hören diese auf. Die Leute im Film wissen schon, wieso das so ist, weil irgendjemand in der Nähe ist. Wenn man sich einer Grille nähert, dann hört sie auf zu singen. Plötzlich ist dieser Sound weg, der einen eingelullt hat, und man bemerkt, hm, hier stimmt etwas nicht, oder das endet nicht gut. Das finde ich spannend.
CM: Das sind dann auch Stilmittel, um Suspense zu erzeugen. Wie kann man denn sonst noch eine Spannung, oder Suspense, aufbauen?
MG: Dafür muss man natürlich mehr wissen, als die Leute im Film. Und man weiss ja schon mehr, weil man ein Kinoticket für einen Horrorfilm gekauft hat. Man weiss, es wird etwas passieren. Das ist eigentlich das Grundprinzip von Suspense. Dass man etwas erwartet, was der Protagonist oder die Protagonistin im Film nicht weiss. Er weiss zum Beispiel nicht, dass er in einem Horrorfilm ist. Das braucht es bestimmt. Ich glaube, das funktioniert aber nicht einfach so sofort. Man muss als ZuschauerIn auch ein bisschen konditioniert oder trainiert werden auf gewisse Mechanismen. Wenn wir bei “Der weisse Hai” sind, den hast du ja auch auf deiner Liste. Den sieht man ja nie im Film. Lange Zeit sieht man ihn nicht und man hört einfach die Musik und die Musik ist der Hai. Irgendwann hat man das dann verstanden. Wenn diese Musik kommt, dann wissen wir, da ist ein Hai. Da bin ich als Zuschauer darauf konditioniert. Da weiss ich, ah, jetzt kommt diese Musik, jetzt passiert gleich etwas. Das ist ein bisschen das Gegenteil von Suspense. Das führt mich, nimmt mich bei der Hand. Das erklärt mit der Mechanismus, die Musik kommt, also kommt der Haiangriff. Was Spielberg dann macht, und das ist relativ clever, in der zweiten Hälfte des Films, wo die drei Männer und ihr Boot im offenen Meer sind, da macht er das nicht mehr. Dann bringt er die Musik nicht mehr und der Hai greift ohne Vorwarnung an. Wir sind eingelullt worden und hatten das Gefühl, wir haben verstanden, wie der Film funktioniert, aber dann zieht er uns den Teppich unter den Füssen weg. Es braucht eine gewisse Repetition, man muss ein bisschen zeigen, das sind die Regeln von meinem Film, um diese dann brechen zu können.
CM: Wenn wir nun noch auf die technischen Ebenen vom Sounddesign eingehen. Welche verschiedenen Bestandteile gibt es im Horrorfilm, die man bedienen muss?
MG: Wenn wir vom technischen reden, dann ist eine Ebene auf jeden Fall der Originalton, den ich vom Set bekomme. Das ist häufig das, was ich als erstes bearbeite. Die technische Banalität wäre, dass man erst mal das richtige Mikrofon auswählt, von all denen, die man bekommt. Man hat auf dem Set ja die Angel und Ansteckmikrofone, vielleicht noch ein paar verbaute. Dann wähle ich das aus, was am besten ist, falls das nicht schon im Schnitt gemacht wurde, und wähle vielleicht alternative Takes aus, wo es keine Störgeräusche oder Ähnliches gibt. Als nächstes höre ich mir das Originalmaterial an, höre mir andere Performances an und nehme Dinge raus, die ich eventuell für das Sounddesign brauchen kann. Das können zum Beispiel Atemgeräusche sein von der Protagonistin, oder wenn man Ansteckmikrofone hat, hat man manchmal Herzschläge auf dem Mikrofon und das sind Dinge, die ich vielleicht brauchen kann. Das zweite ist, einfach mal zu vertonen, was man sieht. Das ist wirklich sehr banal, ein bisschen wie Malen nach Zahlen. Und dann in einem zweiten Schritt überlege ich, was hier noch passieren könnte, oder wie das klingen könnte, oder wie klingt jetzt diese Tür. Jetzt habe ich das, aber vielleicht kann ich da noch etwas dazugeben, das es spezieller macht und ein bisschen abhebt. Dann geht es sicher darum, dass man Atmosphäre kreiert, dass man Ambis kreiert und dass man sich auch hier überlegt, was hier noch ertönen könnte, das ich vielleicht nicht im Bild sehe und was noch mitschwingt. Dann beginne ich damit, den Film zu füllen, “bit by bit”. Wenn überall einmal etwas ist, dann kann man in die Details gehen und Sachen hinzufügen.
CM: Wenn du nun an einem Horrorfilm arbeitest, gibt es da verschiedene Stilmittel, die man verwendet?
MG: Eigentlich schon, ja. Es kommt sehr auf den Film an, aber wenn ich einen Horrorfilm habe, versuche ich, die Extreme auszuloten. Das ist genau das, was das Genre auch macht. Das macht das Genre mit der Thematik, es sucht die Grenzüberschreitung, das macht es mit der Kamera, wo man eine extreme Dynamik mit Licht und Schatten hat. So extrem, dass man teilweise gar nichts sieht oder etwas total überbelichtet ist. Dass man extrem lange Einstellungen hat und dann wieder ganz kurz geschnittene, mit unruhiger Kamera. Das Extreme ist etwas, das typisch für das Genre ist. Das heisst, ich suche Töne, die extrem tief oder hoch sind, oder von extrem leise zu extrem intensiv. Nicht unbedingt laut, aber intensiv. Oder von sehr dünn und spärlich zu wahnsinnig dicht. Das sind so grundsätzliche Stilmittel. Verfremdung ist sicher auch ein Stilmittel. Dass man irgendwelche alltäglichen Sounds, die wir alle kennen, nimmt und verzerrt, distorted, rückwärts abspielt, tiefer macht, mit Reverb, zusammengemischt mit irgendwas anderem, dass es “weird” wird.
CM: Es sind also diese Gegensätze, die die Wirkung vom Horror Sounddesign ausmachen?
MG: Du hast ja von Spannung geredet. Wann gibt es Spannung? Wenn man Extreme hat, wenn man extreme Pole hat. Es kann zum Beispiel auch sein, dass ich irgendeine Szene habe und es einen ganz tiefen, ominösen Wind gibt. Eine “Drone”. Und dann gibt es ganz hohe Knackser, “creaks” und dann gibt es extrem tief und extrem hoch im gleichen Moment und eine grosse Leere in der Mitte. Dort könnten vielleicht Schritte sein, oder der Atem der Protagonisten. Also versuche ich wirklich, Extreme auszuloten, oder extrem zu arbeiten. Dass ich Sachen mache, die ich vielleicht sogar ein bisschen “too much” finde, zu stark transformiert oder irgendwas und einfach ein bisschen experimentieren. Es ist viel mehr Experiment beim Horrorfilm als bei Dramas oder Komödien. Das macht ja das Genre. Es geht auch darum, dass man irgendeine Befindlichkeit nimmt oder Ängste in der Bevölkerung oder etwas, das gerade passiert, und dann überspitzt, überhöht und uns dann wieder serviert. Wir schauen das auf dem Sofa und unterhalten uns, aber eigentlich nimmt man ein aktuelles Thema an, das man überzeichnet. Und im Ton versuche ich, das Gleiche zu machen.
CM: Wenn wir gerade von Höhen und Tiefen reden, würdest du sagen, es gibt bestimmte Frequenzen, die man im Horrorfilm häufig verwendet?
MG: Schwierig zu sagen. Natürlich der Frequenzbereich, wo wir Menschen extrem empfindlich sind vom Gehör her und das ist dort, wo die menschliche Stimme daheim ist. So um die 4 kHz. So ca. 4-8 kHz. Das können teilweise auch angenehme Töne sein, wie Grillen oder sonstiges. Aber in der Regel ist man da so empfindlich, dass wenn es dort ein bisschen laut ist, wird es tendenziell eher etwas unangenehm. Die sehr tiefen, “drone” Sachen, die sind ein bisschen ein Klischée, das sind diese Frequenzbereiche, die relevant sind. Ich denke natürlich nicht so und kenne auch niemanden, der in Frequenzbereichen denkt. Man sucht einfach Sounds, die irgendetwas auslösen. Es kann auch sein, dass ich eine sehr persönliche Beziehung zu einem Sound habe und das dann im Film landet. Unabhängig davon, welchen Frequenzgehalt dieser hat. Etwas anderes, das man oft und gerne im Horrorfilm macht, ist, dass man tendenziell versucht, Töne zu platzieren, die uns von der Leinwand wegziehen oder den Raum aufmachen. Hinter der Leinwand oder links und rechts von der Leinwand. Das heisst, ich habe dann relativ viele Dinge, die ich in die Surround-Kanäle platziere. Tendenziell versucht man, möglichst viel vorne zu haben, wo die Leinwand ist. Dort spielen der Film und die Action. Und hinten dann eher die diffusen Dinge. Beim Horrorfilm kann es interessant sein. Plötzlich gibt es ein Element hinten links und man ist fast versucht, sich umzudrehen. Sachen, die in einem Drama oder einer Komödie vielleicht irritieren, macht man im Horrorfilm, weil man Irritation sucht. Genau das will man ja. Surround-Kanäle verwende ich mehr im Horror. Oder dass sich Dinge bewegen und von vorne nach hinten wandern. Beim Horrorfilm kann man Dinge aus der Leinwand raus spazieren lassen. Das kann auch ungemütlich sein. Was man auch gerne und oft verwendet, sind die ganz tiefen Sounds, die man mehr spürt, als dass man sie hört. Im Subwoofer Bereich. Das sind die Frequenzen bis ca. 800 Hz und das sind die, die man eher im Magen spürt. Und auch hier, wenn man das subtil oder punktuell einsetzt, kann das eine gute Wirkung haben. Wenn dieser aktiv ist, kann das eine beklemmende und unangenehme Wirkung haben. Eine ganz tiefe “drone”, wenn man so will.
CM: So spielt man wahrscheinlich auch mit dem Element der Dynamik im Sounddesign?
MG: Genau. Wenn man irgendetwas nicht hört, wo man eigentlich denkt, das sollte man hören. Wenn es ganz plötzlich sehr laut wird, gibt es eine unmittelbare Körperreaktion. Ich finde das ein bisschen problematisch, weil es so einfach ist. Wenn ich im Kino bin und irgendjemandem im Publikum ins Gesicht schlage, dann habe ich auch so eine körperliche Wirkung. Das hat den gleichen Effekt. Ich finde, man muss ein bisschen vorsichtig sein mit Lautstärke. Ganz banal gesagt, kann man ein Gehör schädigen, wenn man sich blöd anstellt. Ich finde, es gibt andere Mittel, die raffinierter sind. Aber wenn man etwas nicht hört, das man hören sollte oder etwas ganz wegnimmt, oder wenn eine Szene eigentlich ganz laut sein sollte, aber leise ist, dann kann das ganz intim wirken. Ich finde das interessant. Alles, was irritiert oder Irritation auslöst, überraschend oder ungewohnt ist, sind alle Stilmittel, die im Horrorfilm funktionieren. Im Bild und im Ton. Aber auch hier darf man das nicht die ganze Zeit machen, sonst nutzt sich das ab. Man gewöhnt sich daran. Wenn man die ganze Zeit über den gleichen Trick bringt, fliegt man irgendwann nicht mehr darauf rein. Auch hier geht es um Dynamik und Kontrast und das gezielt einzusetzen. Ich habe letztens einen Horrorfilm gesehen, der ständig Jump Scares gebracht hat und nie ist etwas passiert. Das ist einfach ermüdend und macht nichts mehr mit einem. Aber wenn 20 Minuten lang alles “normal” und herkömmlich ist und dann plötzlich irgendetwas “off” ist, dann wird es spannend.
CM: Wir haben zu Beginn auch von der Filmmusik gesprochen und wie diese mit dem Sounddesign zusammenfliesst. Wie wichtig ist denn die Filmmusik im Horrorfilm?
MG: Ich würde sagen, genauso wichtig wie das Sounddesign. Ich würde nicht stark differenzieren zwischen Musik und Sounddesign. Beides will das Gleiche erreichen. Was bei der Musik wirklich wichtig und interessant ist, ist, dass man als Komponistin und Sounddesigner wirklich eng zusammenarbeitet. Dass man nicht das Gleiche erzählt im Sounddesign und in der Musik, denn das wäre sehr einfach, sondern dass man sich irgendwie ergänzt, oder dass man eine Tonspur kreiert aus Musik und Sound, bei der man nicht genau sagen kann, ob es Musik oder Sounddesign ist. Das ist auch typisch für Horrorfilmmusik, dass man klassische Instrumente verwendet, die man auf spezielle Art und Weise spielt, wie man es nicht so kennt. Damit also «Neue Musik» machen mit neuen Spieltechniken und versucht, das Geräuschhafte in den Instrumenten zu finden. Und gleichzeitig im Sounddesign versucht, eher das Musikalische in den Sounds zu finden. Durch das ist das sehr verzahnt miteinander. Es sei denn man entscheidet sich dazu, dass die Musik und das Sounddesign zwei unterschiedliche Funktionen haben, wie zum Beispiel bei “Schweigen der Lämmer”, wo das Sounddesign Suspense und Gruselstimmung macht und die Musik ist der Charakter. Alles in allem ist beides gleich wichtig. Es gehört zusammen und muss zusammenarbeiten.
CM: Nun noch als Abschluss, was macht für dich den Horror-Sound aus und warum findest du diese Art von Sounddesign spannend?
MG: Wie das Genre selbst ist das Horror-Sounddesign eine Spielwiese, um die Grenzen lustvoll zu überschreiten. Grenzen, die uns mit der Sozialisierung logischerweise auferlegt worden sind. Dass man experimentiert, dass man ungewöhnliche Dinge ausprobiert und Dinge ausprobiert, die in einem anderen Kontext vielleicht “falsch” oder unangenehm wären. Sound im Horrorfilm ist eine Spielwiese für Experimente. Man ist sehr viel freier als in anderen Genres, was das angeht. Man kann auch sehr subjektiv arbeiten. Man kann viel mehr versuchen, das Unbewusste zu triggern und anzusteuern oder zu beeinflussen. Das ist das, was mich reizt und mich daran fasziniert. Grundsätzlich habe ich das Genre sehr gerne, weil es auf künstlerische Art und Weise mit Ängsten oder Themen, die uns beschäftigen, umgehen kann. Oder Themen, die gerade stattfinden und das irgendwie verarbeitet wird, kollektive Traumata verarbeiten, die man während 90 Minuten gefahrlos auf dem Sofa betrachten kann. Und das dann auch vielleicht mehr verstehen kann, wieso sich etwas so anfühlt oder wieso man Angst hat. Oder dass man sich künstlerisch mit dem Tod auseinandersetzen kann. Ich denke, wir alle haben irgendwie Angst oder Ehrfurcht davon und Tod ist ein Thema und es ist das zentrale Thema von Horrorfilmen. Ich finde, das ist eine wichtige Auseinandersetzung, die man so leisten kann, wenn man selbst an so einem Film arbeitet oder konsumiert. Das finde ich spannend. Der Horrorfilm ist wie ein “was wäre wenn” Experiment, das man gefahrlos erproben kann. Und dass man das auch im Sound so ausprobieren kann.