Interview mit Sounddesigner Peter Weiss

July 24, 2023
Posted in Horror Sound
July 24, 2023 Corina Meier

Peter Weiss ist als Soundberater, Komponist, Sounddesigner, Produzent, Autor und Referent tätig. Im Jahr 1994 gründete er die erste Kommunikationsagentur für akustische Markeninszenierung, die Corporate Sound AG. Seit 2013 ist er Mitglied der Jury beim „Red Dot Design Award“ und publizierte 2015 das Buch “Wenn Design die Materie verlässt”. Neben seinen Tätigkeiten im Corporate Sound Bereich experimentiert Peter Weiss mit künstlerischem Sound, unter anderem in seinem eigenen Projekt “Der Träumer”, in dem er mit vielen Suspense und Thriller Elementen arbeitet und Game- und Filmwelten als reines Hörerlebnis auf Tonträger und Bühne realisiert. Im folgenden Interview erzählt Peter Weiss alles darüber, wie er ein Horror-Sounddesign Projekt angeht, was dabei wichtig ist und auf welche Taktiken Horrorfilme beim Sounddesing setzen.

Transkript Interview

Corina Meier: Was hast du denn für einen Bezug zum Suspense Bereich oder Horror-Genre? Was hast du hier schon für Erfahrungen gemacht?

Peter Weiss: Horror als Fakt, als dramaturgischen Fakt, finde ich hoch faszinierend und das hat mich schon immer extrem interessiert. Für mich kommt Horror nicht nur in den Horrorfilmen vor, sondern auch in anderen, sagen wir mal in Thrillern, als Ausdruck vor. Horror als Ausdruck könnte man vielleicht auch mal noch definieren, was versteht man unter Horror? Es ist im Prinzip ja eine gewisse Form von Angst und wie drückt man diese aus. Das hat mich schon immer fasziniert. Einer meiner prägenden Filme, der tatsächlich in diesem Filmgenre ist, ist ein uralter Klassiker. Das ist „Suspiria“, der mit einer ganz schönen „Kling-Klong-Musik“ zu einem Bass eine Wahnsinns Stimmung gemacht hat. Hier ist es eine absolut faszinierende Kombination von schön, faszinierend, aber unheimlich. Und das sind so Kombinationen, die man machen kann mit Sound. Man kann wirklich nur blanke Angst, blanker Horror erzeugen. Oder dann eben so die Mischungen mit anderen Gefühlen, mit Kindermelodien, Kinderglöckchen und solche Sachen, das hat auch so etwas Schönes, verführerisches. Aber im Kontext kippt es dann eben und bewirkt etwas anderes. Das sind so meine Bezüge zu dem Thema. Ich bin ein grosser, grosser Fan von David Lynch. Bei David Lynch kann man effektiv Kopfhörer anziehen, das Bild ausschalten, aufs Sofa sitzen und einfach den Film hören und es ist genial. Es ist absolut genial. David Lynch hat ein Wahnsinns Gefühl für Klang. Noch viel mehr als zum Beispiel Tarantino. Tarantino ist einfach ein super DJ, der im Prinzip einfach ein sehr geiles Gefühl für Musik hat. Aber David Lynch geht noch viel, viel weiter. Das ist wirklich Klang. Bis dahin, dass er gewisse Stimmen verzerren lässt, so laut ins Mikrofon schreien lässt, dass es absolut zerrt. Dass er mit Elementen arbeitet, wo man zum Beispiel mit einem Mikrofon hat, wenn man Wind hat. Dieses „Plop“ Geräusch, dass man alles zu verhindern versucht mit so einem riesen Pelz, dass man keine Windgeräusche hat. Und er arbeitet mit dem, wo es wirklich rauscht, als dramaturgisches Element, dass er ganz präzise einsetzt. Und das ist absolut genial. Also das sind so meine Bezüge. Auch sagen wir mal einen ganz alten Klassiker, „Der weisse Hai“, der mit diesen wenigen Tönen spielt. Wer den Film gesehen hat, mit einem Ton ist alles wieder da. Das ist auch Soundbranding in der absolut perfekten Form.

CM: Die Sachen, die du gerade beschrieben hast, sind ja genau diese, die man mit Sounddesign auch erreichen will. Wenn wir jetzt den Aufbau eines Sounddesigns für Horror oder Suspense Filme anschaut, wie sieht da denn die Tonspur aus?

PW: Eines meiner wichtigsten Arbeitsinstrumente ist der Sampler. Hier habe ich wirklich in den Jahrzehnten Erfahrungen, ich höre einen Klang und ich weiss ganz genau, wie dieser in zwei Oktaven klingt. Ich hören den und ich kann es mir vorstellen, ich weiss genau die Charakteristik. Und ich weiss genau, dieser klingt richtig geil, wen ich ihn runter transponiere. Mit diesem Gefühl und mit dem Sampler, besonders mit dem runter transponieren, wenn man eine Klanglichkeit zwei Oktaven tiefer spielt, können super spannende Klänge entstehen. Das ist eine Idee. Natürlich arbeite ich auch mit Plug-Ins, mit Synthesizer. Mein Hauptprogramm, mit dem ich Sounddesign mache und komponiere ist Logic Pro und fürs Editing arbeite ich mit Pro Tools, aber zum komponieren vor allem mit Logic. Und es kommen noch verschiedene Sound Libraries dazu. Ich habe eine grosse Klangbibliothek, Effects-Bibliotheken, Sound IDs. Das ist natürlich eine riesen Bibliothek an Klängen, an Geräuschen und hier hat es auch schräge Sachen dabei, wo ich dann auch sampeln kann und etwas dazu machen. Und natürlich die in den Horrorfilmen oft verwendeten, tiefen Frequenzen, tiefe Frequenzen einerseits und Disharmonien, starke Disharmonien. Das ist ein Element, dass man immer wieder findet. Oft hat es beim Horrorfilm auch noch wie eine Art Traum-Element, das eine Art „Ist das ein Traum oder ist das Wirklich“ verursacht. Das wird auch mit so Glockenmelodien gemacht, es wird mit schwebenden Sachen gemacht. Also dass man so eine Art wie eine mentale Distanzierung gleichzeitig macht. Dass man einen wie rausnimmt, es ist ein bisschen traumhaft und dann geht man – zack, rein und ist im Konkreten. Mit dem spielen, das ist natürlich die Kunst vom Horrorfilm Sound.

CM: Du hast vorhin von Soundbibliotheken und Plug-Ins geredet. Nimmst du beim Sounddesign auch selbst Geräusche, oder was auch immer du gerade brauchst, auf oder arbeitest du vor allem mit Soundbibliotheken?

PW: Es ist beides. Ich würde sagen, 70% Bibliotheken und 30% eigene Sachen. Ich mache auch immer wieder Jam-Sessions mit Musikinstrumenten und versuche zum Beispiel nur mit Flageolett oder mit dem Plektrum vorne an den Seiten ganz spezielle Klanglichkeiten zu kreieren. Das hat dann auch viele Obertöne, wenn man mit hohen Seiten spielt. Je mehr Obertöne etwas hat, desto faszinierender klingt es, wenn man es zwei Oktaven tiefer spielt. Dann kommen die ganz hohen Obertöne runter in einen hörbaren Bereich und geben nochmals eine Räumlichkeit, die sehr toll sein kann.

Das ist zum Beispiel auch das „Waterphone“. Das gibt dem Sound auch etwas Unentzifferbares. Es gibt dem Sound ein Geheimnis. Gerade wenn der Klang vom Waterphone relativ leise im Hintergrund ist, dann gibt man dem ganzen Musikstück oder dem Klangelement ein Element, das der Hörer nicht identifizieren kann. Das gibt dem ein Geheimnis. Es ist etwas, das man nicht kennt und das macht einen Sound auch faszinierender und irgendwie attraktiver. Das ist eine Mischung zwischen unheimlich und je nach dem auch faszinierend. Das finde ich noch spannend.

CM: Wenn wir das Sounddesign allgemein anschauen, wenn es um einen Horrorfilm geht: Was für Überlegungen macht man sich für das Sounddesign und den Aufbau, für Spannungserzeugung?

PW: Das ist ein superspannender Prozess. Dieser fängt im besten Fall eigentlich schon mit dem Regisseur an, indem man zusammen das Drehbuch durchgeht, wenn man noch gar nicht gedreht hat. Dann geht es darum, die Parameter festzulegen. Um was geht es in dieser Geschichte? Was genau ist es für eine Art von Angst? Dass man vom grossen Begriff Horror ganz präzise wird und sozusagen 10 oder 20 Unterkategorien macht und sagt: Was für einen Horror möchte ich genau hier haben? Und dann ist es im Prinzip wirklich eine kreative Arbeit, zusammen mit dem Regisseur Vorstellungen zu erarbeiten. Einerseits ist es das Konzept vom Regisseur und andererseits ist es das Bild, das einfach einen gewissen Ton möchte. Dann ist es eben noch das Konzept vom Regisseur, der sagt, wenn ein Messer kommt, ob das „ratsch“ macht oder alles lautlos geschieht. Das ist eine konzeptionelle Frage. Es gibt ja diese Effekte, so „stab“ Sounds, die schon existieren und man nicht nochmal super neu erfinden muss. Aber es ist natürlich toll, wenn man selber auch seine Note reinbringen kann.

Es ist wirklich eine Abstimmung und Präzisierung, welcher Horror es genau ist. Ist es eine distanzierte Perspektive, ist es ein Horror, der mit Erinnerungen zusammenhängt, oder ist es völlig nahe, wo einem das Messer regelrecht reingedrückt wird. Das sind dann drei verschiedene Klänge, die es hierzu braucht.

CM: Was du gerade beschrieben hast, ist ja auch so ein bisschen die Funktion von einem Sounddesign. Dass es bei einem Horrorfilm eben diese verschiedenen Arten von Angst und Spannung rüberbringt. Wenn wir uns nun noch die Wirkung von einem Horror-Sounddesign anschauen, welche Emotionen können bei Horrorfilmen ausgelöst werden?

PW: Ich würde es mal so definieren, wenn man eine Skala von „super happy joy-joy“ und „hier stirbt man“ hat, dann würde ich sagen, fängt das Spektrum vom Horrorfilm da an, wo es knapp ins Negative kippt. Bis zu dem Teil, wo dann Herzstillstand ist. Dieser Teil ist ein ganz grosser Teil. Das heisst, hier hat es tausend verschiedene emotionale Haltungen drin und auch tausend verschiedene Wirkungen, die beim Zuhörer erzielt werden wollen. Das geht von „etwas unangenehm“ bis „absoluter Horror“. Es gibt unzählig viele Emotionen. Es ist ja nicht einfach nur pure Angst. Das ist eine Ecke, die es gibt. Meistens ist es eine Kombination von Angst plus etwas, oder Angst plus sogar zwei Sachen. Angst plus Erinnerung, Angst plus Melancholie. Da gibt es hunderte Kombinationen, die man mit Sound ganz präzise als Wirkung planen und designen kann. Mit Sound und Musik kann man absolut millimetergenau so eine Mischung machen. Das ist auch ein gewisses psychologisches Vermögen vom Sounddesigner und vom Filmmusikkomponist, die eine Empathie haben und ein Verständnis für die Wirkung. Das ist eher psychologisch und funktioniert mehr intuitiv als wissenschaftlich, aber Gefühle sind ja eher auch nicht wissenschaftlich.

CM: Und abgesehen von diesen Emotionen und den psychischen Reaktionen, gibt es auch irgendwelche physischen Reaktionen des Körpers, die man mit Sounddesign ansteuern kann?

PW: Wenn man aus dem Nichts einen Presslufthammer laut hört, dann erhöht sich die Herzfrequenz, man atmet mehr, man fängt an zu schwitzen. Das macht Sound mit einem. Vor allem im Kino, wenn man die volle Soundqualität mit Dolby Sound hört, dann macht das etwas mit einem. Das ist so. Physisch hat das einen starken Impact. Sound kann absolut physische, biologische Reaktionen unmittelbar hervorrufen.

CM: Auf das zielt man im Sounddesign eigentlich auch ab zum Teil, oder? Zum Beispiel auch bei Horrorfilmen.

PW: Ja schon. Die alte Art ist natürlich mit dem klassischen Erschrecken. Das funktioniert immer wieder. Das ist so die maximale Form, wo dann bei jedem einen Sprung auslöst.

CM: Du hast vorhin ja auch von den Frequenzen geredet, die man im Sounddesign verwendet, zum Beispiel viele Bässe oder dissonante Klänge. Was gibt es denn sonst noch so für auditive Stilmittel, die man im Sounddesign verwendet?

PW: Auch hier ist die Möglichkeit grenzenlos. Es ist auch wirklich eine künstlerische Sache, mit Geräuschen, mit Klängen zu arbeiten und sich genau zu überlegen, wo welcher Klang eingesetzt wird. Wenn zum Beispiel ein Auge von einem Monster ins Bild kommt, dann ist das oft ein relativ heller Klang. Dieser ist oft mit dem Waterphone gemacht und etwas Quietschendem. Ein dumpfer, dunkler Sound steht andererseits eher für etwas Gefährliches, das ich nicht durchschaue und nicht kenne. Wenn man zu dem dann noch einen Klang macht, der weniger dumpf ist, eher so ein Maschinen Klang, der den Raum gross macht. Dann kann man zum Beispiel noch mit Stimme, mit Atmen viel machen. Das ist dann ein ganz feiner Sound. Der ist weder in den Bässen noch ganz oben. Rhythmus auf jeden Fall. Das ist auch ein ganz starkes Element. Beim „Weissen Hai“ kommt da auch noch dazu, dass eine spezielle Geschichte dahinter ist. Spielberg ist damals fast verzweifelt, weil die Puppe vom weissen Hai lächerlich ausgesehen hat. Dann hat er sich überlegt, was würde Hitchcock machen. Dann hat er gesagt „ah yes, that’s the solution“. Hitchcock würde den Hai nicht zeigen. Er würde ihn nur im Kopf entstehen lassen. Das hat er dann mit der Musik gemacht und der Flosse des Hais. Den Hai hat man nur zwei oder drei Sekunden lang gesehen, wo es gerade noch glaubwürdig war. Das hat Spielberg dann so erreicht, indem er den Hai nicht gezeigt hat. Zeige ihn nicht und lasse ihn nur in den Köpfen der Leute entstehen, repräsentiere ihn akustisch. Das ist dann mit der Musik passiert.

CM: Das zeigt ja, dass das Bild schon auch wichtig dazu ist, aber dass man auch nur auf der akustischen Ebene viel erreicht. Wenn wir uns nun die Bearbeitung beim Sounddesign ansehen, bearbeitet man alles ja ein bisschen. Was sind so typische Stilmittel, die man auch im Horror Sounddesign findet?

PW: Da gibt es keine Grenzen. Manchmal klingt ein Sample Sound, den ich verändere und runter transponiere, schon absolut grossartig und muss nichts dazu machen. Wenn ich mit dem Waterphone arbeite und irgendwas aufnehme, dann klingt das natürlich viel toller, wenn ich noch einen Delay verwende, der das Ganze noch verschleift und noch einen Hall verwende und ein Transponizer, der noch eine Oktave oder Quinte dazu macht. Da schöpft man aus dem Vollen. Das sind Elemente, die einfach als Instrument wie Farben oder Texturen von einem Maler funktionieren.

CM: Wie kommt den die Stille, also die Absenz von allen Geräuschen, ins Spiel? Was bewirkt es, wenn es komplett still ist?

PW: Es gibt auch hier ein schönes Beispiel, aber ich weiss den Namen nicht mehr. Es ist ein Mafia Film, wo zwei Banden irgendwie warten und es ist eine absolute Spannung, es ist im Prinzip nicht auszuhalten. Irgendetwas bringt den Funken zum explodieren und in diesem Moment sieht man alle, wie sie mit den Maschinengewehren losschiessen und in diesem Moment wird der Film stumm, absolut lautlos. Dieser Schock vom lauten und dramatischen und dann ins Nichts gehen, ist genau so stark, wie wenn man vom Nichts ins Laute geht. Das kommt auch ein bisschen auf die Szene darauf an, wie man das leise macht. Einerseits kündet man ein bisschen an, es könnte etwas passieren. Oder man führt auf eine falsche Spur und die Aufmerksamkeit in diese Richtung bewusst lenkt, damit dann das der maximale Kontrast ist. Da gibt es diese beiden Varianten, die ich kenne. Oft habe ich auch schon gesehen, dass es gerade gefährlich ist und in jedem Moment kann etwas um die Ecke kommen und dann „ah, doch nicht“ und plötzlich kommt dann doch etwas.

CM: Welche Rolle spielt denn die Musik hierbei noch? Diese ist ja auch ein Teil vom Sounddesign. Wie verbindet man das?

PW: Ich glaube, das wird verschieden gehandhabt. Ich bin wirklich Befürworter dafür, dass das verschmelzen muss. Das ist ein bisschen die Sache vom Audio Director, der gerade bei grösseren Filmen mit verschiedenen Menschen zusammenarbeitet. Dass dieser eine Vision hat, wie diese Fusion funktionieren soll. Je enger das ineinander verwoben ist, desto besser finde ich das.

CM: Nun noch ein paar abschliessende Worte: Was würdest du sagen, macht den Horror Sound aus und warum ist diese Art von Sounddesign spannend für dich?

PW: Das Spannendste ist für mich, dass der Sound beim Hörer etwas auslöst, das er nicht kennt. Das hat etwas spannendes und ist faszinierend. Das hat im positiven Sinne, auch wenn es mit Angst verbunden ist, ist es Neuland. Das ist eine Entdeckungsreise, man geht in ein neues Territorium, in ein unbekanntes Territorium. Im Sounddesign kann ich nicht so konkret sagen, was für ein Bild im Kopf entsteht, weil es nicht so konkret ist, sondern es ist abstrakter. Das sind emotionale Räume, mentale Räume. Das heisst, ich zeichne eigentlich mentale Räume und das finde ich hoch faszinierend. Die Räume zu schaffen, die eine Exploration vom Hörer ermöglichen, in etwas, dass er so noch nie gehört oder sich vorstellen hat können. Wie kann man in der Kultur von den bestehenden Horrorfilmen, von den Vertonungen die es gibt, nochmal eine Neuerung schaffen, wo es so noch nicht gegeben hat. Das finde ich auch eine spannende Herausforderung. Das Horror Sounddesign bohrt etwas tiefer und es ist nicht opportunistisch. Horror Sounddesign ist das Gegenteil von opportunistisch und ich hasse Opportunismus. Ich suche das Spezielle.

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