Interview mit Sounddesigner Joachim Budweiser

July 25, 2023
Posted in Horror Sound
July 25, 2023 Corina Meier

Joachim Budweiser ist langjähriger Sounddesigner und Tontechniker bei den Bluebox Tonstudios in Bern. Zwischen 2011 und 2016 war Budweiser als Sounddesigner beteiligt bei der Berner Theatergruppe „PENG! Palast“ und hat das Sounddesign sowie auch die Musik für Horrorstücke erstellt, die von der Theatergruppe aufgeführt wurden. Im Rahmen seines Studiums an der HKB in Musik und Medienkunst schrieb Budweiser eine Arbeit über die physischen und psychischen Auswirkungen von Schall auf den Körper. Im Interview erzählt er von seinen Erfahrungen im Horror-Sounddesign und darüber, wie sich die Konventionen im Sounddesign von Horrorfilmen entwickelt haben.

Transkript Interview

Corina Meier: Kannst du als Einstieg ganz kurz beschreiben, was du für einen Bezug zum Horror-Genre hast und welche Arbeit du im Sounddesign alles machst?

Joachim Budweiser: Mein Bezug zum Sounddesign ist, dass ich Sounddesigner bin. Ich arbeite in einer Firma, die sich hauptsächlich auf Sprachaufnahmen spezialisiert hat. Wir machen kleine Hörspiele, Podcasts, Radiowerbung, Fernsehwerbung, Imagefilme vertonen und da ist das Sounddesign ein grosser Teil von. Auch schon bei Radiospots in 15 Sekunden eine kleine Geschichte zu erzählen, da steckt viel Sounddesign drin, auf den Punkt gebracht, eigentlich schon ein Mini-Hörspiel. Ich habe mit meiner Freundin auch schon Hörspiele gemacht, die ohne Musik funktioniert haben. Eine halbe Stunde nur mit Geräuschen und einer Erzählstimme dazu. Beim Hörspiel ist es natürlich praktisch, beim Film auch, dass man eine Erzählstimme hat, die erklärt, was die Geräusche eigentlich bedeuten sollen. Und beim Film hat man halt das Bild dazu, das man vertonen kann.

Ich habe recht lange ein Theaterprojekt begleitet, das über ein Jahr ging, bis wir das Projekt aufgeführt haben. Bei diesem Projekt habe ich die Musik gemacht. Das Projekt war mit der Schauspielgruppe PENG! Palast. Das war ein Stück, das einerseits mit Film auf der Bühne gezeigt wurde und andererseits haben sie das Projekt live auf der Bühne gespielt, wo ich dann die Musik und die ganzen Geräusche dazu gemacht habe. Das war mein grösstes Horrorfilm-Soundprojekt.

CM: Wenn du nun das Sounddesign von diesem Projekt beschreibst: welche Bestandteile hat bei dem Horror Projekt das Sounddesign und mit was hast du gearbeitet?

JB: Ich habe damals noch mit Nuendo gearbeitet. Das ist die größere Version von Cubase, die Surround-fähig ist. Mittlerweile würde ich aber mit Pro Tools arbeiten, da ich schon seit zehn Jahren mit Pro Tools arbeite. Privat arbeite ich mit Reaper. Diese Software ist für Sounddesign der Hammer, weil man die Möglichkeit hat, viele Dinge zu “randomizen” und User-Scripts einzubauen. Bei Reaper kann man dann zum Teil einfach nur einen Knopf drücken, der einem viel Arbeit abnimmt und das ganze Script randomisiert. Pro Tools ist ein sehr gutes Programm, es ist auch der Industriestandard, aber das ist in diesen Aspekten einfach zu wenig innovativ. Reaper ist da schon weiter. Beim Sounddesign gibt es ganz viele verschiedene Bestandteile. Bei diesem Projekt habe ich von böser Musik bis zu lockerer Musik alles gemacht. Ich finde auch, dass Sounddesign und Musik gerade im Horrorfilm ziemlich nahe zusammen spielen, weil sich ein Geräusch schnell in eine Musik verwandeln kann und eine Musik schnell geräuschhafte Elemente beinhalten kann. Ich finde, da ist das nicht klassisch getrennt, wie beispielsweise in einem Liebesfilm oder sonstiges. Bei diesem Projekt war das auch so. Da habe ich zum Teil auch gar nicht definiert, ob das jetzt Musik oder Sounddesign ist.

CM: Wenn du ein solches Projekt beginnst, mit welchen Überlegungen startest du in so ein Projekt?

JB: Wenn ich an den Horrorfilm denke, dann überlege ich mir, wie sehr real oder surreal alles sein soll. So, dass es dem Projekt noch gut tut. Bei diesem Theaterstück wusste ich auch schon, in welche Richtung das Stück geht und welche Bilder es dazu geben wird. Da sieht man sehr schnell, ob es beispielsweise ein Monster-Horror ist. Dann mache ich mir ganz andere Überlegungen zu den Geräuschen, als wenn es eher ein psychologischer Horror ist, der eher auf der detaillierten Ebene arbeitet, mit Zwischentönen beispielsweise. Danach überlege ich mir, was das alles für Geräusche sein könnten, die auch Angst erzeugen und wie sehr, oder eben nicht, ob man diese übertreibt, untertreibt oder weglässt. Solche Spielereien mit diesen Elementen. Ich arbeite dann den ganzen Film durch und überlege zu allen Momenten, welche Töne ich dazu brauche oder eben nicht brauche, um die Stimmung des Films rüberzubringen.

CM: Das beschreibt auch in etwa die Funktion des Horror-Sounddesigns, oder?

JB: Genau. Gerade das Weglassen von Geräuschen finde ich spannend. Nicht unbedingt, weil man das Geräusch nicht braucht, sondern weil man es absichtlich weglässt. Das kann dann Irritation auslösen. Wenn man etwas sieht, das sich im Bild bewegt, aber man hört es nicht und bis zu diesem Punkt im Film waren alle Geräusche noch normal, allein dieses Weglassen des Geräuschs kann schon wahnsinnig spooky oder unheimlich sein. Dann lässt man das eben nicht einfach weg, weil es nicht benötigt wird, sondern man lässt etwas extra weg, weil sich etwas bewegt, ohne zu erklingen. Und schon irritiert das die Zuschauer, kann Angst machen und etwas “wie von Geisterhand” bewegen lassen. Eine der grossen Funktionen des Sounddesigns im Horror ist es auch, dass man versucht, den Menschen Angst einzujagen oder dass sie sich unwohl fühlen. Das allein kann schon sehr gut durch Sounddesign erreicht werden, hängt aber auch oftmals mit dem Bild zusammen.

CM: Welche Emotionen können denn noch durch das Sounddesign ausgelöst werden?

JB: Ich habe mir noch ein paar Beispiele von Filmen aufgeschrieben, bei denen ich körperliche Reaktionen hatte, wie zum Beispiel Übelkeit. Ich weiss nicht, ob du das kennst, ob dir schon einmal übel wurde bei einem Film?

CM: Ich glaube, bis jetzt noch nie, nein.

JB: Es gibt zwei Filme, bei denen ich aber nicht sagen kann, ob es effektiv das Sounddesign war, das das ausgelöst hat, oder das Bild oder die Musik. Im Idealfall spielt das alles ja schön zusammen. Ein Film ist “Mother” von Dario Naranowski. Das ist ein crazy Film, der mich ziemlich verstört hat. Da wurde mir richtig übel. Der andere Film ist “Killing of a Sacred Dear”. Das sind in dem Sinne nicht klassische Horrorfilme, aber ich würde sie definitiv als Horror bezeichnen. Diese Filme sind mehr auf der psychologischen Ebene, die bei mir wirklich physische Reaktionen ausgelöst haben. Das kann ich von Filmen sonst nicht so behaupten.

CM: Würdest du sagen, man geht beim Sounddesign auch ein bisschen auf die Urgefühle der Menschen ein?

JB:  Ja, definitiv. Ich habe sowas ähnliches gerade letztes Wochenende mit meiner Tochter erlebt. Wir waren im Museum und haben eine Ausstellung angesehen im historischen Museum in Bern. Da sind wir dann in den Keller runtergegangen und das Ambiente war eher ein bisschen dunkel. Am Anfang lief dann ein Film, der die ersten 30 Sekunden mit einer bassigen “drone”, einem tiefen Brummen begann. Meine Tochter ist sofort zu uns Eltern gekommen und hat gesagt: “Mama, Papa, Angst. Ich habe so sehr Angst.”. Sie hat also diesen tiefen Basston sofort mit Angst verbunden. Das hat einfach auch etwas Bedrohliches, etwas Unheimliches, wie auch beispielsweise der Donner. Was macht Bass aus in der Natur? Alles, was bedrohlich und gross ist. Ich habe schon das Gefühl, das wir auf das zurückgreifen im Sounddesign, aber ganz viel davon ist einfach Konvention. Ganz viele Leute haben schon Horrorfilme gesehen, auch die, die das Sounddesign machen, orientieren sich an Horrorfilmen und dann schaut man sich automatisch an, wie es andere machen. Ich weiss nicht, wann die letzte Innovation im Horror-Sounddesign stattgefunden hat. Ausser damals, als man angefangen hat, Neue Musik zu verwenden, weil diese so atonal und unheimlich ist. Tiefe Töne, schrille und atonale Töne, die unangenehm sind und wirklich auch physisch ein unangenehmes Gefühl geben können und ganz hohe Geräusche, die sirren und kriechen, das sind bestimmt alles Geräusche und Elemente die man im Sounddesign von Horrorfilmen verwendet. Wenn es um die hohen und unangenehmen Töne geht, also unangenehm ist für mich der Frequenzbereich zwischen ca. 3-6 kHz, das ist für mich wirklich Horrorfilm typisch. Dieser Frequenzbereich ist in anderen Genres sonst nicht so abgedeckt wie im Horrorfilm, wo es ja möglichst unangenehm werden soll.

CM: Und das hat sich im Genre über die Jahre auch so etabliert?

JB: Ja, genau. Ich kann keinen genauen Zeitpunkt nennen, aber plötzlich hat es damals angefangen mit metalligen, quietschigen Geräuschen und das war dann in jedem zweiten Horror- und Suspense-Film vorhanden und das kriegt man jetzt nicht mehr weg. Das hat es heute in jedem Film. Dieser metallische Schrei hat sich einfach etabliert und ist Genre typisch geworden. Genauso wie atonale Musik einfach Genre typisch ist. Das verfremden vom Bekannten ist ein klassisches Horror Element. Man kennt etwas zwar, wie beispielsweise die Melodie vom Eiswagen, aber dann macht man das ein bisschen kaputt. Man fängt an, rum zu pitchen, “detunen”, oder spooky Hall drauf legen. Man kennt etwas, reisst es aber akustisch aus dem Kontext heraus und gibt dem Ganzen etwas Fremdes. Ich habe das Gefühl, mit dem wird ganz oft gearbeitet. Das Fremde ist unvertraut, unbekannt und ist dadurch sofort unheimlich.

CM: Mit welchen Stilmittel kann man denn Spannung durch das Sounddesign generieren?

JB: Für mich ist das ganz fest auch die Stille. Auch ein Element, mit dem man extrem stark arbeiten kann. Damit habe ich auch im Theaterstück sehr oft gearbeitet, dass man auch wirklich einmal gar nichts oder fast nichts hört. Das finde ich ein ganz wichtiges Element für die Spannung.

Für mich ist das ein wichtiges Mittel, um Spannung aufzubauen, mit dem Hin und Her von Stille und auch mit Rhythmus. Das ist für mich wie eine Atembewegung, die Musik wird dichter, entspannt sich, wird dichter und kann plötzlich auch anfangen zu stocken. Es kann plötzlich auch unrhythmisch werden, im Rhythmus genauso wie im Atonalen, die Musik kann dissonanter werden. Es kann immer noch die gleiche Melodie geben, aber die Begleitmusik dazu, die Akkorde, oder sonst irgendetwas beginnt, unangenehmer zu werden und allein durch das kann man Spannung aufbauen.

CM: Wenn wir gerade von Stilmitteln sprechen, welche auditiven Stilmittel gibt es denn sonst noch in Horrorfilmen?

JB: Explizit die tiefen und unangenehmen Töne im Frequenzbereich, in dem wir am besten hören, da können Geräusche anfangen, weh zu tun. Und auch im sehr hohen Frequenzbereich, ich würde sagen, zwischen 8 und 10 kHz. Ein ganz wichtiger Effekt im Horrorfilm ist auch das Pitchen von Tönen, also die Tonhöhe und Geschwindigkeit zu verstellen, um etwas zu verfremden, etwas in die Länge zu ziehen, etwas tiefer oder höher klingen lassen, das ist klassisch im Horrorfilm. Eine Stimme ist sehr wichtig im Horrorfilm, in der Musik sowie in den Geräuschen, weil das so etwas vertrautes ist, aber sobald eine Stimme keinen Sinn mehr macht, oder es noch nach Stimme klingt, aber nicht mehr nach Sprache, weil sie irgendwie auseinander geschnitten wurde oder es falsch klingt, weil die Stimme so tief ist, das ist unheimlich. Oder Flüstern ist auch ein Stilmittel, das sehr häufig in der Musik oder im Sounddesign vorkommt. Das ist auch spannend, weil Flüstern einerseits sehr intim ist. Wir kennen Flüstern von da, wenn man sich sehr nah ist. Oder wenn wir an die Zeit denken, in der es in der Umwelt noch viel mehr Gefahren um uns herum gab, als wir aufpassen mussten, war Flüstern die Art, um leise zu sein, sonst hört uns die andere Gruppe oder irgendein Tier, das wir jagen. Flüstern hat etwas an sich, das man sofort auch mit Gefahr assoziieren kann. Darum habe ich auch das Gefühl, wird das so oft im Horrorfilm verwendet.

CM: Flüstern ist ja die leisere Variante des Sprechens. Wie spielt man denn sonst noch mit der Lautstärke in einem Horrorfilm, um den optimalen Effekt zu erzielen?

JB: Um die wichtigen Momente gut rüberzubringen, kann man zum Beispiel auch etwas sehr laut machen und das hat dann einen grossen Effekt. Das funktioniert auch, ohne dass das Bild gefährlich ist. Ich habe da zwei Beispiele. “The Ring”, hat eine Szene, wo es einen Schnitt gibt auf eine Eisenbahn, die durchfährt. Da erschrickt man. Man geht aus der Stille heraus einfach auf diese Eisenbahn zu, die sehr laut ist. Im Bild passiert nichts Gefährliches, man ist zuvor in einem Büro und dann geht es über zur Eisenbahn, aber die ist so laut, dass man einfach erschrickt. Nur dadurch, dass die Lautstärke plötzlich so sprunghaft ansteigt. Das andere Beispiel ist effektiv bei Neuer Musik. Als ich einmal sehr müde war und eine Alban Berg Schallplatte hörte, bin ich eingeschlafen und dann kam plötzlich der Einsatz vom ganzen Orchester und da bin ich aufgeschreckt und war wieder hellwach. Alles, das laut ist, kann erschrecken und auch alles, das leise ist, weil es unnatürlich ist. Wenn sich beispielsweise ein schweres Objekt wie von Geisterhand bewegt, aber man hört nichts, dann ist das komisch, weil es eigentlich grossen Krach machen sollte. Man muss auch darauf achten, dass man abwechselnd zwischen laut und leise agiert, da sich sonst das Publikum daran gewöhnt und die Lautstärke dann keinen Einfluss mehr hat. Diese Dynamik muss es natürlich auch im Bild geben. Manchmal hat man auch eine sehr coole Idee, aber dann merkt man, dass die gegen das Bild geht und dann muss man sich halt anpassen. Man hat diesen Rhythmus genauso im Bild, von leisen Bildern zu lauten Bildern, intensiv und weniger intensiv, und an dem orientiert man sich, wenn man das Sounddesign macht. Das muss aber abwechseln, denn sonst macht das Ohr irgendwann zu. Wie wenn es bei den Bildern auch immer nur kracht, dann schaltet man irgendwann ab.

CM: In welchen abschliessenden Worten würdest du den Horror-Sound beschreiben und warum findest du diese Arbeit spannend?

JB: Diesen Sound kann alles ausmachen. Es kann alles sein. Man kann sogar einen Pop-Song im richtigen Moment bringen und das kann der absolute Horror sein. Das kommt auf die Szene und den Kontext an, aber wenn plötzlich ein fröhliches Pop-Lied kommt, dann fühlt sich das falsch an. Dann kann auch so etwas ein Horror-Element sein. Der klassische Horror-Sound ist atonal, unangenehm in den Frequenzen, verfremdete Geräusche von unserem Alltag. Mit solchen Elementen zu arbeiten finde ich extrem spannend. Als es darum ging, ob ich bei diesem Theaterstück mitmachen möchte oder nicht, war für mich klar, ja, unbedingt. Es ist cool, einmal klassisch zu versuchen, den Leuten Angst zu machen und es ist auch witzig, dass es dann so funktioniert. Es war sehr interessant, bei so einem Projekt dabei zu sein. So ein Projekt würde ich auch sofort wieder machen. Für mich wäre es spannend, wie es wäre, wenn man noch nie einen Horrorfilm gesehen hat und das dann vertonen muss. Das wäre mal interessant!

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